Social Bookmarks? Geh weg!

Social Software ist eines der Schlagworte im sogenannten Web 2.0, und seit das handliche Nullwort mit Versionsnummer am Markt ist, wird kopiert und abgeschrieben was das Zeug hält. Nach Sinn und Unsinn fragt keiner. Das Ergebnis sind Bildchenleisten wie diese unter allem und jedem:

Rudellesezeichenicons (blog.oliver-gassner.de)

Rudellesezeichenicons (Telepolis)

Sie sollen dem Leser erleichtern, den Inhalt dem Social Bookmarking zuzuführen. Social Bookmarking liefert so etwas wie eine Hitparade der URLs. Hitparaden sind beschränkt unterhaltsam und kein bisschen nützlich. Daran ändert sich wenig, wenn man sie mit neumodischen Begriffen wie Social Bookmarking und Web 2.0 belegt. Josef Meixner bringt es in einem Kommentar in der Blogbar auf den Punkt:

»(…) Ich habe mir vor langer Zeit del.icio.us angesehen und fand die Idee im ersten Augenblick ganz gut. Dann habe ich mir die Bookmarks für Raytracing angesehen (da kenne ich mich ganz gut aus) und es als irrelevant klassifiziert. Die Links kannte ich entweder oder es war der übliche “Boah, schau mal”-Kram der mich nicht interessiert. Es war nichts dabei was mir geholfen hätte. Ich pflege lieber meine eigene Linkliste, aber die ist für die meisten Leute auch irrelevant weil sie sehr oft auf SIGGRAPH-Paper verweist die Geld kosten. (…)«

Mit anderen Worten, wer sich nicht nur in einer hirnlosen Masse suhlen möchte, sondern sich tatsächlich für ein Thema interessiert, dem bringt das alles nichts.

Dabei kann man’s besser machen. Slashdot – alt genug, um definitiv nicht Web 2.0 zu sein – macht es vor. Das dortige kooperative Moderationssystem für Kommentare ist eines der wenigen, die wirklich funktionieren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es seine Nutzer einschränkt und dadurch zum Denken zwingtanregt. Um überhaupt moderieren zu dürfen, baucht man Karma, das man sich durch aktive Beteiligung an Diskussionen mit guten, d.h. von anderen als gut bewerteten, Beiträgen erarbeiten muss. Das allein genügt aber nicht. Moderieren, also selbst bewerten, darf man nur ab und. Man bekommt dann fünf Punkte als eine Art Münzen zugeteilt, die man beim Bewerten ausgibt. Dazu kommt noch die Metamoderation (Bewertungen werden ihrerseits von Nutzern bewertet) und die Unmöglichkeit, sich an derselben Diskussion sowohl als Schreiber als auch als Moderator zu beteiligen.

Da hat mal jemand nachgedacht hat, statt nur etwas hinzurotzen und ein hippes Label dranzukleben. Dass wir über verschiedene Komplexitätsklassen reden, zeigt ein Blick auf die Slashdot-FAQ einerseits und beispielsweise jene von Digg oder die Hilfe von del.icio.us andererseits. Die Bookmarking-Dienste sind zu simpel, sie bilden einfach nur kurzfristig den Massengeschmack ab. Außerdem sind sie write-only: weil User-generated Content angesagt ist, macht man es einfach, etwas hineinzukippen, zum Beispiel mit solchen Iconhalden wie oben gezeigt. Ob auch was Nützliches rauskommt, interessiert weniger. Hauptsache, alle machen mit. Danke, nein, nicht für mich.

6 Kommentare zu „Social Bookmarks? Geh weg!

  1. Moinsen Meister,

    zensierst Du Dich jetzt schon selbst, oder woher kommt das Durchgestrichene??? In Sachen Bookmarking touché, der FAQ-Lackmustest sticht ins Auge, prinzipiell finde ich das plebiszitäre Element aber durchaus nützlich, etwa bei der Optimierung von Startseiten bei Webzeitungen. Wenn ich merke, was meine Leser wollen und Ihnen dann mehr davon geben kann, dann ist das natürlich schön. Wann kann man sich schon mal so leicht redaktioneller und journalistischer Verantwortung entledigen. Die Webnews machen es ja vor und verlinkt auch nur andere Dinge. Die Frage ist aber auch hier, ob es mehr bringt als hohe Klickzahlen und ob sich die Befriedigung des Herdentriebs langfristig lohnt.

    Selbst die Bild, die dem Volk ja äußerst gerne auf’s Maul schaut, setzt zumindest noch eigene Schwerpunkte und entscheidet, wo Sie den gerechten Volkszorn schürt oder die deutsche Michelseele übers Hinterteil streichelt. Redaktionelle Qualität ist eben selbst im Boulevard immer geprägt durch subjektive Auswahl und Themengenerierung. Ohnehin ist die Volksmasse doch nicht wirklich webafin, weshalb die Verwendung plebiszitärer Elemente hier an den Zielgruppen eher vorbeigeht und Bild-T-Online auch eher nicht dem typischen Netzpublikum angehören. Aber vielleicht führen wir ja demnächst auch eine Diskussion über das Internet für die Unterschicht.

  2. zensierst Du Dich jetzt schon selbst, oder woher kommt das Durchgestrichene???

    Netztypisches Stilmittel zur simultanen Wahrung von Form und Deutlichkeit. Das sichtbar Durchgestrichene sorgt für die Deutlichkeit, ohne zum zitierfähigen Text zu gehören.

    Gruß
    Sven

  3. Man kann sich die Popularität übrigens auch kaufen, wie dieser Wired-Artikel zeigt: I Bought Votes on Digg. Der Witz ist, dass man nur den Anfang machen muss, die Unterschicht übernimmt dann den Rest und legt auf die gekaufte Basispopularität noch mal eine Schicht authentisches Me too! drauf.

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