Gefühlte Sicherheit oder wie man sich seines Aberglaubens vergewissert

Was würden Sie tun, wenn Ihnen jemand einen zerrissenen Sicherheitsgurt zeigt und Ihnen sagt, dieser habe ihm bei einem Unfall das Leben gerettet? Wenn jemand auf den zersplitterten Kunststoff seines verunfallten Trabis weist und gleiches behauptet? Sie würden ihm wahrscheinlich einen Vogel zeigen. Jeder weiß doch, wie die wichtigsten passiven Sicherheitsfeatures am Auto funktionieren. Die Knautschzone nimmt durch Verformung Energie auf und sorgt dafür, dass die Fahrgastzelle beim Aufprall weniger abrupt gebremst wird. Der Gurt hält die Insassen darin fest, damit sie sich nicht selbständig und die Knautschzone wirkungslos machen.

Für Helmträger auf Fahrrädern gelten andere Gesetze, oder jedenfalls glauben sie das. Von ihnen hört man regelmäßig genau solche Berichte. Über ein Musterbeispiel bin ich am Wochenende gestolpert. Das Foto gibts bei Flickr, den zugehörigen Unfallbericht hier.

Eigentlich ist gar nicht viel passiert. Ein Autoinsasse hat unachtsam die Tür geöffnet; ein Radfahrer ohne ausreichenden Sicherheitsabstand kam dadurch zu Fall. Seine Verletzungen bewegen sich glücklicherweiseerwartungsgemäß im üblichen Spektrum für einen Fahrradsturz. Sie mögen schmerzhaft und ärgerlich sein, von einer Lebensgefahr sind sie weit entfernt. Bei Fahrradstürzen stirbt man regelmäßig nicht, das lehrt schon die Lebenserfahrung. Und sie lehrt auch, dass als nächster Schweregrad der Verletzungen erst mal Knochenbrüche folgen.

Als Helmträger aber hat man nach dem Unfall was zu erzählen, denn der Helm macht aus kleinen Stürzen großes Kino: er zerbröselt. Der Aufprall muss also irrsinnig heftig gewesen sein und hätte ohne Helm gewiss zu schwersten Verletzungen geführt, schließt der Helmträger, und erzählt es auch gleich allen. Woher dieser milde Drang zur Missionierung kommt, weiß ich nicht; vielleicht kommt man sich unter so einem Häubchen doch ein wenig albern vor und muss es kompensieren, wenn sich schon mal eine Gelegenheit bietet.

Zurück zur Wirkung. Ein effektiver Helm müsste ungefähr genauso funktionieren wie eine Knautschzone, also sich verformen und dabei Energie aufnehmen. Zerbricht er statt dessen in kleine Stückchen, so taugt er nichts. Kopfschutz sieht anders aus. Radfahrer haben keine Knautschzone, wie Helmträger und -verkäufer gern betonen – und ein typischer Radelhelm ändert daran nichts, nicht mal für die 20% des Kopfes, die er überhaupt bedeckt.

Wenn es nur das wäre, könnte man die Sache als harmlose Modeerscheinung abtun, die nicht hilft, aber auch keinem schadet (wenngleich sie zu den meisten Klamotten ziemlich daneben aussieht). Tatsächlich gibt es jedoch Anzeichen dafür, dass Helmträger häufiger in der Notaufnahme landen als andere Radfahrer. Über die Ursachen kann man spekulieren. Ein guter Kandidat ist gewiss die Risikokompensation: wer sich mit Helm sicherer fühlt, fährt vielleicht riskanter. Ein anderer ist der Helm selbst, der den Kopf größer und schwerer macht. Bei manchem Sturz wäre ohne Helm vielleicht gar kein Teil des Kopfes aufgeschlagen. Auf die Nase zu fallen lernen Menschen nämlich in früher Kindheit zusammen mit dem Laufen.

Genial, ob gewollt oder nicht, ist freilich das Marketingkonzept, das man in diesem Versagen auch sehen kann. Man entwerfe ein Sicherheitsutensil, das bei großen Problemen nicht wirkt, aber bei den häufigeren kleinen Problemen laut schreit: »Schau her, wie ich dich gerettet habe!« Das ferner daraufhin kostenpflichtigen Ersatz erfordert, das die werbewirksamen kleinen Probleme unauffällig etwas häufiger auftreten lässt und das auf den ersten Blick genügend plausibel erscheint. So baut man sich eine treue Fangemeinde auf, die fleißig Mindpropaganda macht. Was allerdings die Frage aufwirft, wozu wir dann noch die rechenschwachen Mediziner von neulich brauchen.

Analogien zur Funktionsweise einiger IT-Sicherheitsprodukte sind vermutlich kein Zufall. Aber darüber schreibe ich ein andermal.

3 Kommentare zu „Gefühlte Sicherheit oder wie man sich seines Aberglaubens vergewissert

  1. Okay, okay, ich zieh den Helm nicht mehr auf, aber wenn man Kinder hat, dann treibt einen die Vaterrolle in allerlei anderen Unsinn. Kinder und Sicherheit sind sowieso der Hammer. Interessant übrigens, dass beim Skifahren, wo man ja bekanntlich doch eher weich fällt (okay Eisschollen nicht ausgeschlossen), niemand auf die Idee kommt, mit so einem Babyhelm anzutreten, sondern sich klar an den motorradtypischen Kopfbedeckungen orientiert.

    Außerdem ist hier ganz klar, dass die Helme vorwiegend für Kinder vorgesehen sind, die noch das Fahren lernen. Und das mit dem Fahrenkönnen ist scheinbar bei den Radfahrern nicht so gegeben, wie eine Versicherungsstudie zeigt

    Demnach werden viele Unfälle von Radfahrern verursacht, die größte Unsicherheit liegt also ohnehin im Verhalten der Radler begründet.

    Rein wissenschaftlich würde mich würde mich aber mal interessieren:

    a) wie der Fahrradhelm wieder in Mode kam – war ja zu Beginn des Laufrads schon mal da (übrigens ist das Laufrad meines Sohns viel gefährlicher als jedes Fahrrad – keine Bremsen!!!)

    b) wie die Konstruktion und Stoßdämpfung im Vergleich zum Motorradhelm ausfällt, sind dort die selben Prinzipien angewandt, passt die Konstruktion zur Geschwindigkeit?

  2. Demnach werden viele Unfälle von Radfahrern verursacht, die größte Unsicherheit liegt also ohnehin im Verhalten der Radler begründet.

    Da muss man aber aufpassen, was man als Unfall zählt und welche Schlüsse man daraus zieht. Statt einer langen Erklärung einfach ein Link auf den automatischen Schuldzuweiser.

    Wie der Helm in Mode kam, weiß ich nicht. Vielleicht haben sich Anfang der 90er viele Ossis gedacht, so ein Helm müsse wohl eine tolle Sache sein, in der DDR gab’s ja keine. Und dann haben sie alle welche gekauft und die Wessis haben es nachgemacht. 😉

    Was die Stoßdämpfung betrifft, hat Hardshell eine Seite über die Prüfnormen.

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