Das Personalchefargument

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Aus Diskussionen über öffentliche persönliche Informationen ist der googelnde Personalchef kaum wegzudenken. Gestritten wird dann darüber, was er denn nun sehen oder nicht sehen soll, damit dem Verkäufer eigener Arbeitskraft nichts schlimmes passiere. Gerne malt man sich phantasievoll die möglichen Folgen verstaubter Partyfotos aus, das gehört zu den Standards solcher Diskussionen. Doch es gibt ein grundlegendes Problem mit dem googelnden Personalchef: das Personalchefargument ist falsch, weil es von falschen Voraussetzungen ausgeht. Auf die Feinheit, ob der Personalchef nun etwas finden soll oder lieber nicht, kommt es dabei nicht an. Im Gegenteil, die Beliebigkeit in diesem Aspekt deutet auf ein grundlegendes Problem in den Axiomen hin. Wer mit einem falschen Satz von Axiomen anfängt, kann damit bekanntlich alles und das Gegenteil begründen.

Das Personalchefargument unterstellt als – regelmäßig unausgesprochene – Voraussetzung ein Unterwerfungsverhältnis zwischen Unternehmen („Arbeitgebern“) und für sie Arbeitenden („Arbeitnehmern“). Der Arbeitnehmer habe sich dem Arbeitgeber wohlgefällig zu verhalten, folgt daraus. In dieser Einseitigkeit ist das Modell falsch. In Wirklichkeit gibt es einen Arbeitsmarkt. Wie jeder andere Markt führt der Arbeitsmarkt führt der Arbeitsmarkt Parteien zusammen, die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen, und lässt sie Geschäfte zum beiderseitigen Nutzen machen. Dabei muss jeder dem anderen entgegenkommen, um seinen angestrebten Nutzen zu realisieren. Ich muss Zeit opfern, um Geld zu verdienen; eine Firma muss Geld opfern, um meine Zeit und meine Fähigkeiten zu bekommen. In der Ökonomie drückt man alles in Geld aus; im richtigen Leben spielen Faktoren wie das Betriebsklima auch ohne explizite Umrechnung eine Rolle.

In einem idealen Markt gibt es keine Ungleichgewichte, keine Seite kann den Markt über ihre Teilnahme hinaus zugunsten der eigenen Interessen beeinflussen. In der Realität greift man zuweilen regulierend ein, wo sich ein Markt zu weit von diesem Ideal entfernt. Regulierende Eingriffe können auch deshalb nötig sein, weil einige der theoretischen Eigenschaften idealer Märkte gar nicht realisierbar sind, zum Beispiel unendlich viele Teilnehmer auf beiden Seiten.

Das Personalchefargument ignoriert die Gegenseitigkeit des marktwirtschaftlichen Austauschs. Es postuliert Verhaltensregeln für Arbeitende, aber keine für Unternehmen, als gäbe es ein Kartell der Arbeitgeber. In Wirklichkeit muss aber jede Seite der anderen entgegenkommen, sonst finden keine Geschäfte statt, und was in einer Paarung von Marktteilnehmern nicht funktioniert, kann in einer anderen zum guten Geschäft werden.

Es mag also durchaus vorkommen, dass Personalchefs Saufbilder aus dem Internet in ihren Entscheidungen berücksichtigen. So wie es auch vorkommt, dass Firmen ihre Entscheidungen auf Horoskope oder graphologische Gutachten stützen. Das bedeutet dann aber nicht, dass jemand keine Arbeit findet, sondern lediglich, dass in einer bestimmten Konstellation kein Geschäft zustandekommt. Sind die Gründe dafür irrational, so ist das sogar zum Schaden des irrational Handelnden.

Eine Voraussetzung für einen gut funktionierenden Markt ist übrigens Transparenz: jeder Teilnehmer soll alle für rationale Entscheidungen relevanten Preise und Qualitätsmerkmale kennen. Die richtige Schlussfolgerung aus dem Personalchefargument ist deshalb nicht, dass jeder Arbeitende sein Online-Image zu polieren habe, sondern dass neben unseren Saufbildern auch die Dreckecken der Unternehmen ins Netz gestellt gehören. Wenn ich mich bei einem Unternehmen bewerbe, bewirbt sich gleichzeitig das Unternehmen bei mir. Da möchte ich schon etwas über seine Vergangenheit erfahren, und die Sommerfeste und Weihnachtsfeiern sind dabei minder relevant.

Ein Kommentar zu „Das Personalchefargument

  1. Weil es im Text wie ein nebensächlicher und kauziger Einwurf klingt: In Frankreich ist es ganz normal, dass grössere Firmen die Handschrift der Bewerber analysieren lassen. Ich denke aber auch, dass die grundlegende Idee der Ungleichheit in Frankreich noch viel stärker ausgeprägt ist.

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